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Eine mehr als 35jährige Geschichte des Widerstands gegen die Atomlobby

Das Jahr 1977, als die damalige niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht, Gorleben zum nationalen Atomklo, dem sogenannten “Entsorgungspark”, erklärt hat, ist auch das Gründungsjahr der Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg.

Der Widerstand gegen diese Pläne ergriff seinerzeit große Teile der wendländischen Bevölkerung, bis hinein in die bis dahin eher konservativ eingestellten bäuerlichen Kreise.

Es waren nicht selten durchaus sehr angesehene und alteingesessenen Familien, aus denen tatkräftige Aktivisten gegen die staatliche Atompolitik kamen. So gehörten die (im Jahre 2000 leider verstorbene) Undine von Blottnitz, die später ins Europaparlament einzog, und ihr Mann Fritz zu den engagiertesten Gründungsmitgliedern der “Bäuerlichen Notgemeinschaft”.

Sie war zunächst eine reine Notwehrgemeinschaft mit dem Ziel, die geplante Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) zu verhindern. Aber je mehr sich die Widerständler mit der komplizierten Matreie beschäftigten, desto klarer wurde ihnen, daß es technisch nicht möglich ist, Atommüll sicher zu entsorgen, weder durch Wiederaufbereitung noch durch Endlagerung. Der strahlende Müll bleibt auf viele tausend Jahre eine Gefahr Mensch und Umwelt. Das eigentliche Problem ist die Nutzung der Atomspaltung als Energiequelle, die diesen Atommüll tagtäglich neu produziert, ohne zu wissen, wohin damit.

Gorleben – Nadelöhr in der Atommüllschieberei

Die Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben (und die in Wackersdorf) wurden von der Atomlobby dann zwar aufgegeben. Sie karrt ihren Müll stattdessen erstmal in die französische Wiederaufbereitunsanlage La Hague und das britische Sellafield. Aber auch ohne WAA hält das wendländische Gorleben eine Schlüsselstellung in der Atomindustrie inne: Durch das “Zwischenlager”, das geplante Endlager im Salzstock und das Zwischenglied Pilotkonditionierungsanlage. Denn auch in Frankreich und England darf der Müll auf Dauer nicht bleiben.

Im “Zwischenlager”, einer offenen Blechhalle, wird der in deutschen (und demnächst vielleicht auch ausländischen) Atomkraftwerken anfallende heisse Müll erstmal für ein paar Jahre abgestellt, zum Abkühlen umfächelt von wendländischer Luft. Das gilt dann schon als Entsorgungsnachweis für den strahlenden Müll, ohne den die deutschen Atomkraftwerke allesamt stillgelegt werden müssten. In der Pilotkonditionierungsanlage sollen die Behälter repariert werden, wenn sie durch den ständigen Strahlenbeschuss aus ihrem Innern mürbe geworden sind. Und dabei wird immer wieder Radioaktivität in die Umwelt entlassen.

Doppelt betroffen von der Atompolitik: Die Bauernfamilien

Die Bauernfamilien sind nicht nur wegen der davon ausgehenden ständigen Gefahr für die menschliche Gesundheit davon betroffen: Wer will noch Nahrungsmittel kaufen, die in einem radioaktiv belasteten Region Wendland erzeugt worden sind? Immerhin sind fast 12% der wendländischen Betriebe Biohöfe, die in besonderer Weise von der absoluten Unbedenklichkeit ihrer Erzeugnisse abhängig sind. Für viele der hier ansässigen Bauernfamilien ist klar: Die Atomanlagen vor ihren Hoftoren bilden eine ständige Gefahr für ihre bäuerliche Existenz. Sie können ja ihre Äcker nicht einfach unter den Arm klemmen und auswandern. Entsprechend motiviert ist ihr Widerstand. Und das ist der Grund dafür, dass die “Bäuerlichen Notgemeinschaft” eine der tragenden Säulen der wendländischen Anti-Atom-Bewegung ist.

Ihre politische Stärke liegt auch darin, dass sie nur ein loser Zusammenschluß ist von Landwirten aus der Region Lüchow-Dannenberg (und mittlerweile auch Uelzen und Lüneburg). Sie hat keine Satzung und keine Regularien, keinen Vorstand und keine Grundsatzkommission. Nicht einmal einen Mitgliedsbeitrag. So entschieden die Bäuerinnen und Bauern sich hier gegen die Atomlobby wehren, so wenig Neigung haben sie zu Vereinsmeierei und Politikgemauschel. Sie stehen allen Parteien kritisch gegenüber – auch und besonders den Grünen, durch deren Zustimmung zum “Atomkonsens” sich fast alle Notgemeinschaftler verraten fühlen.

In sogenannten ruhigen Zeiten sind es in der Regel 30-40 Landwirte und Landwirtinnen die an den Zusammenkünften teilnehmen, in den heißen Phasen, z.B. bei Castortransporten, kommen bis zu dreihundert zu den Treffen.

Immer dabei: Die Traktoren

Von 1977 bis heute haben immer wieder Treckerdemonstrationen im Landkreis und über seine Grenzen hinaus stattgefunden. Etwa der legendäre Treck nach Hannover 79, mit über einhunderttausend Teilnehmern, Konvois nach Magdeburg und Lüneburg. Oder die größte Schlepperdemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik, die “Stunkparade” von Gorleben nach Dannenberg: Mit 650 Zugmaschinen und geschmückten Anhängern hat sie gezeigt, wie stark der Widerstand gegen die Atomanlagen und wie tief verwurzelt er in bäuerlichen Kreisen ist – bis weit hinein ins konservative Landvolk.

Und das zeigt sich nicht nur auf Demonstrationen: Wann immer Atommülltransporte durch den Landkreis rollen, rollen Traktoren ihnen entgegen. Für die Staatsmacht sind sie kein unüberwindbares Hindernis – aber ein eindrucksvolles Bild dafür, dass die wendländische Anti-Atom-Bewegung nicht aus “Chaoten” und “Autonomen”, aus “Berufsdemonstranten” und “linken Staatsfeinden” besteht, wie Politik und Wirtschaft gebetsmühlenartig wiederholen. Sondern zum grössten Teil aus Menschen, die hier leben. Die das Wendland als ihre Heimat empfinden. Die ihre Heimat schützen wollen vor der Zerstörung durch eine katastrophale Atompolitik.

Der bäuerliche Widerstand ist daher besonders hartnäckig und handfest in der Wahl seiner Mittel. Dennoch: Bei den Aktionen der Notgemeinschaft wird streng darauf geachtet, daß keine Personen gefährdet und z.B. auch keine Polizeifahrzeuge beschädigt werden. Grundsatz der Bäuerlichen Notgemeinschaft ist: “Wir kämpfen mit offenem Visier.” Diese Menschen sind weder vermummt, noch können sie sich hinter der Anonymität einer Polizeiuniform verstecken. Jeder kann sehen, wer sie sind, und wofür sie stehen.

Die Probleme der Staatsmacht mit den Bauern

Auf Seiten der staatlichen Einsatzkräfte ist man ihnen gegenüber allerdings nicht so zurückhaltend. Immer wieder reagieren sie extrem nervös und gewalttätig, fast panisch, wenn sie auf Bauern treffen, die sich mit ihren Traktoren querstellen. Bei jedem Castortransport waren bisher massive Übergriffe zu beklagen, teilweise mit Schäden an den Maschinen, die in die Tausende gehen. Dass es bodenständige, bürgerliche und hart arbeitende Leute sind, die sich ihnen entgegenstellen, entspricht nicht dem eingelernten Feindbild. Das scheint viele einfache Polizistinnen und Polizisten zu überfordern. Die Reaktion ist nicht selten blinde Wut und hartes Draufschlagen.

Aber das Ansehen, dass die Bäuerliche Notgemeinschaft in weiten Teilen der Bevölkerung genießt, führt auch dazu, dass immer wieder so viele Menschen ihren Beitrag zur Beseitung der Schäden an den Traktoren leisten wollen, wenn die Polizei wieder einmal Scheiben zerschlagen und Reifen aufgeschlitzt hat.

Dieser Rückhalt macht die Bäuerliche Notgemeinschaft seit mehr als 35 Jahren so stark.