Der kulturelle Arm macht sich auf

Einige Veteranen aus dem Kern der Kulturellen Landpartie sind mit dem Aktionstag an den Gorlebener Anlagen nicht glücklich.

In einem Gespräch mit der Gorleben Rundschau empfinden Michael Seelig, Helmut Koch und Brita Kärner diese Veranstaltung als „Rückgriff“. Die Idee sei, so klingt es bei Michael Seelig, von außen in das KLP-Plenum hineingetragen und mit moralischem Druck durchgesetzt worden. Eigentlich seien die Veranstaltungspunkte der Landpartie aber gar nicht in der Lage, eine solchen Veranstaltungstag an den Anlagen kurz vor dem Ende der KLP zu tragen. Dazu sei die KLP viel zu kräftezehrend, die Veranstalter/innen nach zehn Tagen intensiver Kommunikation bereits erschöpft.

Dennoch bestehen die drei auf die Zugehörigkeit der KLP zum Widerstand gegen die Atomanlagen. Seelig: „Die Kulturelle Landpartie ist eine Aktionsform, die aus dem Widerstand entstanden ist.“ Man habe sie gewählt, um „den Leuten andere Zugänge zu ermöglichen.“ Der Kernsatz in den Anfängen sei gewesen: „Wir zeigen, was wir tun, wenn wir nicht demonstrieren.“ Damals seien die Widerständler gegen die Atomanlagen diffamiert und als Chaoten beschimpft worden. Die Wunde.r.punkte hätten dem die alternativen Lebensentwürfe und Kreativität der atomkritischen Szene im Wendland entgegensetzen wollen.

Event-Cluster statt Einladung ins eigene Haus

Es stimmt: Der Wunde.r.punkte-Idee vor 25 Jahren wollte diese widerständigen Menschen, ihre Arbeit und ihre Lebensführung für die Besucher/innen erlebbar  machen. Von diesem Prinzip begann sich die KLP schon wenige Jahre später allerdings abzuwenden. Neue kleine Punkte in den eigenen Häusern wurden über Jahre nicht mehr zugelassen, das Zusammengehen mehrerer Mitwirkender in großen Punkten („Clustern“) mit umfassenden Angeboten galt als attraktiver und wurde aktiv gefördert.  Michael Seelig war einer derjenigen, die einen solchen Strukturwandel  forderten und mit den Bedürfnissen des Publikums begründeten.

Die Außenwahrnehmung der KLP verschob sich damit in Richtung ländlicher Kulturtourismus. Mit dem Alltag in Lüchow-Dannenberg oder den „alternativen widerständischen Lebensentwürfen“  hat das Angebot der Landpartie nur noch an den kleinen und wenig frequentierten Punkten etwas zu tun. Die großen Punkte dagegen sind keine Abbildung der Realität mehr, sondern zielgruppengerechte Inszenierungen. Diese Entfremdung wird gefördert von der immer größeren Zahl der von außen eingeladenen oder zugebuchten Semi- und Vollprofis aus der Kunsthandwerker- und Marktbeschickerszene. Sie machten schon um die Jahrtausendwende mehr als die Hälfte der Aussteller/innen aus, an manchen Punkten bildeten sie ein deutliches Übertgewicht. Neben dem Zufluß auswärtiger Erzeugnisse und der inflationären Zunahme der Gastronomie an den Punkten selbst, die für nicht wenige zu einer Haupteinnahmequelle wurde, kam eine gradezu explosionsartige Vermehrung der Veranstaltungen, vor allem abends. (Was den Verzehr zwischen Marktschluß und Veranstaltungsbeginn fördert.) Mit ihrem Wachstum hat die KLP inzwischen eine neue Branche im Wendland etabliert: Die Landluft-Eventveranstalter. Denn Infrastruktur, Management und Logistik der großen KLP-Märkte erfordern professionelle Organisation.

Der wundeste Punkt sind die Atomanlagen

Diese Dimensionen machen es den KLP-Veranstalter/innen nicht leicht, ihren Punkt ausgerechnet am umsatzträchtigen Freitag vor Pfingsten zu schließen und sich stattdessen an einer gemeinsamen Veranstaltung zu beteiligen. Die kleinen Wunde.r.punkte werden damit weniger Probleme haben: Eine Werkstattausstellung, ein geöffnetes Atelier kann durchaus mal die Tür einen Tag schließen und stattdessen nach Gorleben gehen. So ähnlich war das in den Anfängen der Landpartie ja auch. Da war noch die Zeit, um gemeinsame Kunstprojekte in der Landschaft auf die Beine zu stellen. Und eigentlich würde es auch zu einer atomkritischen Kulturprojekt gehören, wenn sich die BesucherInnen auch unmittelbar am „wundesten Punkt“ des Wendlands, den Atomanlagen in Gorleben, ein Bild von der Realität des Widerstandes machen. Dass dies von Michael und anderen KLPler/innen sogar als kontraproduktiv empfunden wird, zeigt, wie weit sich die KLP schon als kommerzielles Projekt verselbstständig hat. Der Primat von Konsum und Dienstleistung wird bei einem touristischen Angebot dieser Größenordnung zwangsläufig.

Ekstase und Realität
Die Veteranen Koch, Kärner und Seelig haben in einem zentralen Punkt aber auch recht: Grade durch ihren kommerziellen Erfolg erfüllt die KLP eine wichtige politische Funktion. Sie sichert nach wie vor die wirtschaftliche Existenz vieler kleiner Werkstätten, Ateliers und Eventorganisator/innen in Lüchow-Dannenberg. Dieses zweite Kernziel der Wunde.r.punkte hat die KLP zweifellos erreicht – ein großer Erfolg. Dennoch scheint auch innerhalb der KLP selbst latent ein Unbehagen über den „Kommerz“ zu schwelen. Der damit verbundene Rechtfertigungsdruck führt zu manchmal skurrilen Überhöhungen der eigenen Bedeutung – etwa wenn Seelig die „ungeheuere Kraft des Neuen“ beschwört, und die Internetseite der KLP sich als „kulturellen Arm des Widerstands“ bezeichnet, „der sich einst aufgemacht hat, sich und die Schönheit dieser Gegend, offensiv als das zu präsentieren, als was sie heute bekannt ist: eine von echten Menschen bewohnte, blühende Landschaft“.
Gut, ekstatische Werbung gehört zur Markenpflege, dem „Branding“ einer kommerziellen Veranstaltung. Und Zehntausende von Besucher/innen geben den Veranstaltern recht.  Wenn die KLP aber nicht vornehmlich als alternatives Country-Festival à la Schloß Ippenburg wahrgenommen werden will, muss  sie ihren eigenen politischen Anspruch auch einlösen. Der obligatorische Anti-Atom-Artikel im Reisebegleiter, Gespräche mit Besucher/innen und ein paar politisch engagierte Punkte reichen als Gegengewicht zur blühenden Landluft-Vermarktung nicht aus. Es muß kein Rückgriff auf altbewährte Veranstaltungskonzepte sein, es muß noch nicht einmal das Thema Atommüll sein. Der Landkreis hat darüber hinaus noch viele andere wunde Punkte, die ihm zu schaffen machen. Bekanntlich ist das Landleben nicht nur idyllisch – und wird es immer weniger. Und an der KLP beteiligen sich viele Menschen mit kreativem und künstlerischem Potential. Deren Einfallsreichtum haben schon die guten alten Wunde.r.punkte mit ihren gemeinsamen Aktionen gezeigt. Warum sollte das für die KLP 2016 nicht auch möglich sein?